Wir haben Wahlkampfzeiten. Mit einigen Jahren Erfahrung weiß man, dass dies Zeiten sind, in denen Polemik, Beziehungsebene und Holzerei vorherrschen. Die Sachebene, klare Fakten und Verbindlichkeit sind eher fern.

In der Main-Spitze vom 9. August 2013 erschien der folgende Artikel. Gerne möchten wir diese Darstellung dort mit einigen Fakten kommentieren:

Grundsteuer-Ermäßigung für vom Fluglärm belastete Flörsheimer

09.08.2013 – FLÖRSHEIM. Von Elke Flogaus

Was hat der Einheitswert einer Immobilie mit Fluglärm zu tun? Eigentlich eine logische Sache: Wer ein Anwesen in der sogenannten Tag- beziehungsweise Nacht-Schutzzone hat, kann von einer Wertminderung ausgehen. So dachte auch der neue Erste Stadtrat Sven Heß (Galf), beantragte eine Minderung des Grundsteuermessbetrages und bekam diesen rückwirkend zum 1. Januar 2012 bewilligt (wir berichteten).

Zitierter Gesetzestext

Wer allerdings von seinem Vorgehen inspiriert ebenfalls einen Antrag gestellt hatte, bekam ein höchst verwirrendes Schreiben vom Finanzamt und musste einen zitierten Gesetzestext mehrmals lesen, um überhaupt daraus schlau zu werden. Danach hatte man den Eindruck, dass eine Ermäßigung nur dann erfolge, wenn man beachtlichen Grundbesitz vorweisen kann, während der Otto-Normalverbraucher durch die Gesetzesmaschen fällt.

Der im Artikel erwähnte §22 BewG (Bewertungsgesetz) besagt: Die Abweichung nach unten muss entweder
a) mindestens 10% des bisherigen Wertes und mindestens 500 DM (relative Grenze) oder
b) mindestens 5.000 DM (absolute Grenze) betragen.

Der Vermutung, dass man wegen § 22 BewG beachtlichen Grundbesitz vorweisen müsse, um eine Ermäßigung zu erhalten, widersprechen die Zahlen. Nach den vorliegenden statistischen Erhebungen wurden bis Ende Mai ca. 80 % der Anträge auf Ermäßigung positiv beschieden.

Denn plötzlich wurde ein Bewertungsgesetz aus dem Jahr 1964 aus dem Hut gezaubert, das offensichtlich eine Änderung des Einheitswertes erst ab einer bestimmten Summe möglich macht, und zwar einer beträchtlichen Summe. Aber der Reihe nach: In den ersten Absätzen des Schreibens vom Finanzamt klang alles noch positiv. Da gibt es das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 31. Oktober 2007 und eine Rechtsverordnung der hessischen Landesregierung, die zum 1. Oktober 2011 in Kraft trat. Danach wird ein Abschlag der Grundsteuer in Höhe von zehn Prozent in Tag-Schutzzone eins und bis zu fünf Prozent in Tag-Schutzzone zwei, beziehungsweise der Nacht-Schutzzone gewährt.

Doch dann kommt das große „Aber“ – und eine Gegenrechnung, die unterm Strich bedeutet, dass die Verringerung der Grundsteuer mit der Neufestlegung des Einheitswertes, der übrigens immer noch in D-Mark angegeben ist, gekoppelt ist. Dieser Einheitswert werde aber nur verändert, wenn die Verringerung bei mehr als zehn Prozent vom Einheitswert oder mehr als 5 000 D-Mark beträgt.

Zweierlei Maß

Dem zitierten Gesetzestext könnte man aber auch entnehmen, dass eine Fortschreibung nach unten eigentlich nur mindestens 500 Euro betragen sollte. Als Beispiel liegt dieser Zeitung die Berechnung für eine 100 Quadratmeter große Vierzimmer-Wohnung vor, die mit einem Einheitswert von 44 300 D-Mark und einer gerundeten Differenz von 4500 D-Mark durchs Raster fällt. Abschließend bittet das Finanzamt um Mitteilung, „ob Sie Ihren Antrag weiterhin aufrechterhalten wollen oder zurücknehmen“.

„Das ist ja völliger Quatsch“, bemerkte Sven Heß zu dem Bescheid und äußerte den Verdacht, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werde, denn sein Einheitswert sei deutlich niedriger. Allen, denen ein solch dubioses Antwortschreiben vorliege, rät er dringend, den Antrag aufrecht zu erhalten.

Bei der angesprochenen Grundsteuerermäßigung handelt es sich rechtlich um eine Ermäßigung des Einheitswertes, wodurch sich dann im Ergebnis die Grundsteuer verringert. Ansprechpartner ist das zuständige Finanzamt.

Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Pokowietz nannte in einer Stellungnahme die beschriebene Vorgehensweise als „sozial völlig unausgewogen“, bedeute es doch, dass nur derjenige Anspruch auf Ermäßigung der Grundsteuer habe, der ein Objekt von einem Einheitswert von mehr als 50 000 D-Mark in Tag-Schutzzone eins und gar mehr als 100 000 D-Mark in den beiden anderen Schutzzonen besitze. „Nach der derzeitigen Regelung genießen wieder einmal Vermögende einseitig Vorteile, während der Normalbürger leer ausgeht“, ärgerte sich der SPD-Politiker und forderte eine Korrektur durch die Landesregierung.

Eine Änderung der Wertfortschreibungsgrenzen in §22 BewG obliegt dem Bundesgesetzgeber. Die Landesregierung ist folglich der falsche Ansprechpartner.

Während der zuständige Sachbearbeiter beim Finanzamt derzeit in Urlaub ist, gab sich sein Kollege Christian Plaschke vorsichtig zurückhaltend. Er verstehe den Ärger der Leute, aber man müsse den Dienstweg gehen, und da es sich um ein politisches Thema handle, sei die Oberfinanzdirektion zuständig. Von dort war zu erfahren, dass der Bürger Einspruch einlegen und nach entsprechender Einspruchsentscheidung Klage beim Finanzgericht Kassel einreichen könne. Eine weitere schriftliche Stellungnahme, die Karsten Pflock von der Oberfinanzdirektion auf Anfrage dieser Zeitung abgab, brachte auch keine Klarheit. Darin wird bestätigt, dass es sich bei einer Grundsteuerermäßigung rechtlich um eine Ermäßigung des Einheitswertes handele.

50 Jahre altes Gesetz

Auch er zitiert Paragraf 22 des Bewertungsgesetzes, wonach „eine geänderte Einheitswertfeststellung bei einem Grundstück nur dann erfolgen kann, wenn eine Wertsenkung um mehr als zehn Prozent (aber mindestens 500 DM) oder um mehr als 5 000 DM gegeben ist.“ Sachlich beleuchtet bedeutet das, dass fast 50 Jahre alte Bundesgesetz die Rechtsverordnung des Landes von 2011 quasi wieder außer Kraft setzt.

Die Behauptung, dass ein fast 50 Jahre altes Bundesgesetz die Rechtsverordnung des Landes von 2011 quasi wieder außer Kraft setzt, ist falsch. Die Rechtsverordnung des Landes von 2011 regelt die Zuordnung zu den Lärmschutzzonen und wird durch die Regelungen des BewG nicht berührt.

Es bleibt also spannend, warum ein Bürger wie Sven Heß mit seinem Antrag Erfolg hatte, andere Bürger in die Röhre schauen – und es möglicherweise hinnehmen müssen, dass ein Landesgesetz von einem Bundesgesetz wieder ausgehebelt wird.

In Betracht ziehen muss man, dass es auch andere als die im Artikel angesprochenen Gründe geben mag, die zur entsprechenden Wertabweichung geführt haben, z. B. zusätzliche bauliche Veränderungen oder etliche andere Gründe.

Quelle: Main-Spitze vom 9. August 2013 mit Kommentierung der CDU Flörsheim am Main