Bei dem Urteil zur Südumfliegung stand hauptsächlich der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Kritische Situationen von sich ins Gehege kommenden Flugzeugen bewertete das Gericht als nicht hinnehmbar.

Kollisionsgefahr war Knackpunkt

Bürgermeister und Parteien freuen sich über das Urteil zur Südroute, befürchten aber größere Lärmbelastung

Um die Situation nach dem Urteilsspruch des Verwaltungsgerichtshofes (VGH) zu besprechen, treffen sich die Bürgermeister und jeweiligen Fachdezernenten von Flörsheim, Hattersheim, Hochheim, Wiesbaden und Mainz.

Flörsheim. Bürgermeister Michael Antenbrink (SPD) wertet das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zur Südumfliegung als „überraschend“. Der Rathauschef erinnert daran, dass die Stadt Flörsheim bereits vor einigen Jahren im Planfeststellungsverfahren darauf hingewiesen habe, dass die Südumfliegung nicht funktionieren könne. „Unseren Argumenten wurde allerdings kein Glauben geschenkt, deshalb ist die jetzt vom Gericht diesbezüglich vollzogene Kehrtwende eine echte Überraschung“, sagt Antenbrink. Was das Urteil, wenn es in einigen Wochen rechtskräftig geworden ist, konkret für Flörsheim bedeutet, könne er noch nicht einschätzen: „Alles ist möglich und nichts auszuschließen.“ Denkbar sei beispielsweise, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung beziehungsweise die Deutsche Flugsicherung (DFS) eine Variante der Südumfliegung ausarbeite, die weiter westlich verläuft. Das brächte den bereits heute von den nach Süden startenden Flugzeugen belasteten Kommunen noch weitaus mehr Lärm als bisher. Und würden die Abflüge wieder auf die Tabum-Abflugroute verlegt, bedeutete das für Flörsheim den Super-Gau. „Dann wäre die Stadt bei Ostbetrieb von den Landeanflügen auf die Nordwestbahn betroffen und bei Westbetrieb von den Starts in Richtung Norden. Das bedeutete 365 Tage im Jahr extremen Fluglärm.“ Unzumutbar ist für Michael Antenbrink außerdem, wenn von den Parallelbahnen einfach geradeaus nach Westen, entlang des Mains, gestartet würde. „Dann würden neben Flörsheim auch alle anderen Mainstädte gnadenlos mit Fluglärm überzogen.“ Antenbrink fordert deshalb, dass bei der Neukonzeption der Abflüge der Aspekt der Lärmbelastung eine zentrale Rolle spielen muss.

Der Bürgermeister weist zudem darauf hin, dass der Wegfall der Südumfliegung massive Änderungen bei der Berechnung der Schallschutzzonen und der Schallschutzprogramme nach sich zöge: „Alles müsste neu berechnet und komplett neu ausgerichtet werden.“ Kein Verständnis hat der Bürgermeister in diesem Zusammenhang daher für die Haltung des Hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministeriums, für das Staatssekretär Steffen Saebisch lapidar erklärt hatte, dass das Ministerium das Urteil lediglich zur Kenntnis nehme, für das Thema Flugrouten sei es aber nicht zuständig. „Der Flughafenausbau war und ist eine einzige gigantische Fehlplanung. Das Beste wäre es, den Planfeststellungsbeschluss für die Landebahn Nordwest, der ja noch keine endgültige Bestandskraft erlangt hat, aufzuheben. Nach dem gestrigen Urteil des VGH sind die Chancen dafür jedenfalls gestiegen“, meint Michael Antenbrink.

Landebahn ade?

Die rot-grüne Koalition aus SPD und Galf in Flörsheim zeigte sich ebenfalls überrascht von der VGH-Entscheidung, die Südumfliegung zu kippen. Zugleich wiesen die Protagonisten der Koalition darauf hin, dass damit die wesentliche Planungsgrundlage für den Bau und Betrieb der Nordwest-Landebahn weggefallen sei. Folgerichtig kündigten die Koalitionäre an, für die nächste Stadtverordnetenversammlung einen Antrag zur Schließung der Nordwest-Landebahn einzubringen.

Die Südumfliegung war nach Eröffnung der Nordwest-Landebahn für Maschinen mit Zielen im Norden eingeführt worden, um die Gefahr von Kollisionen mit anderen startenden Fliegern zu bannen und Regionen im Westen des Flughafens zu entlasten. Die Maschinen fliegen nach dem Start deswegen eine weite Südkurve, um dann erst in größerer Höhe nach Norden abzudrehen.

Der mit der neuen Route angestrebte unabhängige Parallelbetrieb von zwei Start- und Landebahnen mit Hilfe einer Funknavigationsanlage habe sich allerdings nicht als realisierbar erwiesen, urteilte das Gericht nun. Damit sei auch die Begründung für die Südumfliegung weggefallen. Die Entscheidung sei damit fehlerhaft und willkürlich. Die erheblichen Lärmbeeinträchtigungen für die Gemeinden im Süden seien nicht gerechtfertigt.

Renate Mohr (Galf) und Wolfgang Pokowietz (SPD) weisen in einer gemeinsamen Erklärung darauf hin, dass Flugzeuge, die nicht mehr die Route der Südumfliegung nutzen dürfen, eventuell geradeaus – also unmittelbar über Raunheim, Rüsselsheim und den südlichen Teil von Flörsheim – abfliegen könnten. Damit wäre Flörsheim nicht nur durch die landenden Flugzeuge der Nordwest-Bahn, sondern massiv auch durch die startenden Flugzeuge der neuen Ausweichroute betroffen. „Das wäre der Super-Gau und die für Flörsheim schlechteste Lösung – Flörsheim wäre gleichsam unbewohnbar“, wiederholt Wolfgang Pokowietz fast wortgleich die Kritik von Rathauschef Antenbrink. SPD und Galf haben sich nach dem VGH-Urteil abgestimmt und kündigen einen Antrag für die Stadtverordnetenversammlung am Dienstag, 24. September, an. Dieser habe die Schließung der Nordwest-Landebahn zum Inhalt. „Die Belastungsgrenzen sind schon jetzt überschritten, die Wirbelschleppengefahr wurde völlig falsch eingeschätzt, und nun kippt mit der Südumfliegung die gesamte Planungsgrundlage für die raumunverträgliche Nordwest-Landebahn – da bleibt juristisch nach unserer Einschätzung nur noch, die Landebahn zu schließen“, so lautet die Schlussfolgerung von Renate Mohr. Man müsse die ausstehende schriftliche Urteilsbegründung noch prüfen. Aber die Schlussfolgerung zur Schließung der Nordwestbahn sei aus Sicht der rot-grünen Koalition im Interesse der in Flörsheim lebenden Menschen nur konsequent.

Neue Variante

Marcus Reif, CDU-Fraktionschef, hat seine eigene Sicht der Dinge: „Die Freude der klagenden Kommunen kann ich als Flörsheimer nicht teilen. Hier wird einer der stärksten belasteten Wohnbereiche westlich des Flughafens weiter und ohne Ausgleich belastet. Die VGH-Entscheidung stellt doch wesentliche Bereiche des Planfeststellungsbescheids in Frage.“ Die Nordwest-Landebahn sei eine „grotesk geplante Fehlleistung aller Beteiligten“. Er sei gespannt, wie die Deutsche Flugsicherung dem VGH-Urteil mit einer neuen Abflugrouten-Variante entsprechen wolle. „Vor allem ist es ja noch nach wie vor ein Rätsel, wie die rund 150 Abflüge der Südumfliegung nun vorgenommen werden sollen“, so der CDU-Fraktions- und Parteivorsitzende. Eine zusätzliche Belastung Flörsheims dürfe keine Option sein.

Der Verwaltungsgerichtshof habe sich bei seiner Entscheidung vor allem vom Gefährdungspotenzial leiten lassen. „Dieses Verhalten hätte ich auch beim Eilantrag zu den Wirbelschleppen erwartet“, meint Marcus Reif.

Quelle: Höchster Kreisblatt vom 5. September 2013