Bürgermeister sieht Konsens / Vorsitzender vertritt Investor / Fraktionsvorsitzende als Notarin benannt

WICKER – „In Abstimmung mit der Stadt Flörsheim ist am Ortsrand von Wicker in Richtung Massenheim die Errichtung eines kleinflächigen Lebensmittelmarktes als Nahversorgung für die örtliche Bevölkerung geplant“, steht in dem Schreiben, das die Baugesellschaft Noll in diesen Tagen an zwölf Grundstückseigentümer versandt hat. Darüber hinaus sollen Flächen für eine Kindertagesstätte vorgehalten werden und eine größere Zahl an Baugrundstücken entstehen. Die fett gedruckte Betreffzeile „Stadt Flörsheim am Main, Stadtteil Wicker, Baugebiet Auf dem Goldborn“ intendiert ebenfalls eine gewisse Kooperation zwischen der Baugesellschaft und der Stadt. Dass als Ansprechpartner vor Ort Gerd Mehler genannt wird, aktuell SPD-Vorsitzender und über Jahre als RMD-Geschäftsführer mit dem Noll-Mutterkonzern Albert Weil auch geschäftlich verbunden, kann ebenfalls als Indiz für ein politisches Wohlwollen für das Projekt gewertet werden.

Konsens besteht genau so wenig, wie Baurecht

Was in dem Schreiben als „in Abstimmung mit der Stadt…geplant“ beschrieben wird, ist aber offensichtlich weit davon entfernt, mit der Stadt abgestimmt zu sein. „Das ist ein privater Investor, der einen Einzelhandelsmarkt erstellen will“, sagte Bürgermeister Michael Antenbrink (SPD) auf Anfrage. Vorlagen oder Beschlüsse städtischer Gremien in dieser Sache habe es bisher nicht gegeben. Der Investor sei bei der Stadt vorstellig geworden, man habe sich Flächen angeschaut, wo in Wicker Einzelhandel und Wohnbebauung möglich und wünschenswert sei und sei auf das Areal am Ortsausgang Richtung Massenheim gekommen, so Antenbrink im Gespräch mit dieser Zeitung. Der Stadt gehören in dem rund 26 000 Quadratmeter großen Areal keine Grundstücke, ein Bebauungsplan, der Voraussetzung für die Realisierung wäre, existiert auch nicht. Über die „Abstimmung mit der Stadt“ von der der Investor in seinem Brief an die Grundstückseigentümer schreibt, existieren allerdings völlig unterschiedliche Einschätzungen. Während Bürgermeister Antenbrink betont, von allen Parteien bis auf die Freien Bürger sei Zustimmung zu dem Projekt signalisiert worden, berichten die Fraktionsvorsitzenden von CDU und Galf von gänzlich anderen Gesprächsverläufen. „Die Ansiedlung eines Supermarkts in Wicker ist eine willkommene Idee. Beim Standort gab es seitens der Fraktionsvorsitzenden noch etliche Rückfragen, ein Konsens bestand nicht“, so Marcus Reif (CDU). Eine Darstellung, die die Galf-Fraktionsvorsitzende Renate Mohr im Gespräch mit dieser Zeitung bestätigte. Von der signalisierten Zustimmung, von der Antenbrink spricht, könne keine Rede sein.

Thomas Probst (Freie Bürger) findet den Standort am Ortsrand grundsätzlich wenig sinnvoll. Ohne die Befragung der Wickerer solle aber grundsätzlich keine Entscheidung in dieser Sache getroffen werden.

Am Schreiben des Bauunternehmens an die Grundstückseigentümer findet Bürgermeister Antenbrink nichts auszusetzen. Es stelle den Einstieg in einen Planungsprozess dar, der Wicker gut tue. Auch die Beteiligung des SPD-Vorsitzenden Gerd Mehler als Vermittler für den Grundstückskauf empfindet Antenbrink nicht als anstößig. „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt. Darf ein Parteivorsitzender jetzt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen“, fragt Antenbrink. Mehler habe ja keinerlei Einfluss auf Beschlüsse der Politik mehr.

Gerd Mehler selbst sieht sich in der Rolle, bei einem sinnvollen, aber planungsrechtlich komplexen Projekt als Moderator behilflich sein zu können. Interessenkonflikte sieht er dabei nicht.

Nennung im Schreiben geschah bewusst

Er selbst besitze dort keine Grundstücke und entscheide auch nicht in städtischen Gremien mit. Die Entlohnung, brutto ein niedriger vierstelliger Betrag, sei nicht sonderlich hoch und zeitlich eng begrenzt. „Da geht es nicht groß um Geld“, so Mehler auf Anfrage. Dass er als Ansprechpartner auch in dem Schreiben genannt ist, sei bewusst so geschehen. „Alle sollen es wissen und jeder kann mich nach allem fragen“, sagte Mehler.

Dass zur Protokollierung zwei Notare zur Auswahl stehen, die Flörsheimer SPD-Fraktionsvorsitzende Marion Eisenmann-Kohl und ein Hochheimer Kollege, sieht Mehler nicht als kritisch. Käufer hätten ja die Wahl. Eine völlige Freigabe der Notarwahl sei wegen der komplexen Vertragsgestaltung, die im Vorfeld abgesprochen werden müsse, nicht möglich gewesen. Auch in anderen Städten sei es üblich, dass Notare politisch tätig seien, so Mehler.

Marion Eisenmann-Kohl fragte gestern im Gespräch mit dieser Zeitung, warum sie aufgrund ihres ehrenamtlichen politischen Engagements in der Stadt in ihrer Geschäftstätigkeit als Notarin bestraft werden solle. „Ich bin eine gefragte Notarin, warum sollen die Leute nicht zu mir kommen können.“ Durch die Möglichkeit, auch bei ihrem Hochheimer Kollegen zu protokollieren, sei ja eine Auswahl gegeben. Da sie in diesem Fall mit der Firma Noll für ein privates Unternehmen tätig werde, sehe sie da keine Probleme. „Das ist alles okay“, sagte Marion Eisenmann-Kohl.

Das Engagement des SPD-Vorsitzenden für die Firma Noll störe dabei nicht. Gerd Mehler genieße höchste Reputation im Ort und stehe deshalb für die Bürger für eine absolut korrekte Abwicklung, so Eisenmann-Kohl weiter.

Quelle: Main-Spitze vom 26. Oktober 2017

Information 

Hierzu hat das Mehrheitsbündnis aus CDU, Galf, dfb und FDP bereits einen Fragenkatalog formuliert und um deren Beantwortung bis zum 09.11.2017 gebeten: Anfrage der Fraktionen von CDU, GALF, dfb und FDP in der Flörsheimer Stadtverordnetenversammlung