Ausschüsse und Stadtverordnetenversammlung entfallen in diesen Tagen – Fraktionen treffen sich im Netz
FLÖRSHEIM (gus) – Die komplette Sitzungsrunde der Flörsheimer Gremien, mit den Ausschüssen in dieser Woche sowie der Stadtverordnetenversammlung am 7. Mai, fällt den aktuellen Einschränkungen durch die Coronakrise zum Opfer. Nach der Absage der Ausschüsse informierte Vorsitzender Michael Kröhle (CDU) nun auch über die Ausladung vom Parlamentstermin „aufgrund der aktuellen Lage“. Dabei böte zumindest der große Saal der Stadthalle (ausgewiesen mit 637 Quadratmetern und 998 Sitzplätzen im Normalbetrieb mit Tischen) genügend Raum, um Abstandsregeln einzuhalten. Dazu eine Mundschutzpflicht und es wäre sicher vertretbar gewesen, die 37 Stadtverordneten zusammenkommen zu lassen. Doch das Restrisiko ist es nicht wert, betont das Schreiben des Vorsitzenden.
„Es liegen keine unaufschiebbaren Punkte zur Entscheidung vor, die ein Zusammenkommen in einer öffentlichen Sitzung in der derzeitigen Pandemie-Situation rechtfertigen.“ Der nächste Termin steht und wird auf jeden Fall eingehalten, betont Kröhle. Das wäre der 25. Juni. Allerdings heißt dies keineswegs, dass sich dann die Fraktionen in Vollbesetzung in der Stadthalle treffen. Sollte sich in zwei Monaten die Gefahrenlage nicht deutlich entspannt haben, könnte die Stadt auf ganz neue Wege ausweichen, denn die Landespolitik in Hessen hat inzwischen einen vorübergehend geltenden Paragrafen 51a in die Hessische Gemeindeordnung (HGO) eingeschoben.
Der reagiert auf die besondere Situation auf besondere Weise: mit der Option, das Zusammenkommen eines vielköpfigen Stadtparlaments auch bei dringenden Entscheidungen zu vermeiden. Ein Ersatz-Entscheidungsgremium soll in diesem Fall tätig werden. Das kann die Stadtverordnetenversammlung nunmehr einsetzen oder diese Aufgabe einfach dem Haupt- und Finanzausschuss übertragen. Immer nur dann, wohl gemerkt laut §51a HGO, „wenn die vorherige Entscheidung der Gemeindevertretung nicht eingeholt werden kann und Gründe des öffentlichen Wohls keinen Aufschub dulden“. Der Ausschuss darf dann sogar in nichtöffentlicher Sitzung tagen, auch ohne dafür physisch zusammenzukommen, seine Entscheidung(en) kann er in einem Umlaufverfahren treffen.
Angemessener Umgang mit der Krise
„Sollte die Verwaltung Entscheidungen brauchen, wäre dies der probate Weg aus meiner Sicht“, unterstützt CDU-Fraktionschef Marcus K. Reif dieses Vorgehen. Die Ausladungen zu den Gremien sind für ihn nachvollziehbar. „Wir gehen konform mit Bürgermeister Dr. Bernd Blisch, dass derzeit keine zeitkritischen Themen zur Beschlussfassung anstehen.“ Und auch der Koalitionspartner GALF hält das Absetzen der Sitzungen für richtig, „um angemessen mit den Anforderungen der Corona-Krise in der Kommunalpolitik umzugehen“. SPD-Fraktionschefin Marion Eisenmann-Kohl fallen dagegen gleich eine ganze Reihe Themen ein, deren Aufschub sie für problematisch hält. So müsste die Stadt dringend klären, ob es dabei bleibt, dass die Elternbeiträge für Kita und Schulbetreuung wie derzeit nicht eingezogenen werden. Dazu fehle nämlich noch ein Gremienbeschluss. „Eltern brauchen hier dringend eine klare Entscheidung und Gewissheit“, betont Eisenmann-Kohl. Generell liegen mit den Themenkomplexen Kinderbetreuung (inklusiveWaldkindergarten), Umgehungsstraße Weilbach, der Diskussion zur Deponieerweiterung und zum Gewerbegebiet West V.2 genügend Handlungsbedarf seitens der Gremien, die nicht auf die lange Bank geschoben werden sollten.
Die GALF fühlt sich über den Sachstand zu den aktuellen Themen durch den Bürgermeister und die Erste Stadträtin Renate Mohr (GALF) gut informiert, betont Fraktionschef Frank Laurent. „Wir leben aktuell in einer Ausnahmesituation“, betont er zudem. Etwas anders bewertet die oppositionelle FDP die Lage. Auch seine Fraktion sei gerne bereit, sich über alternative Kommunikationswege mit den anderen Fraktionen auszutauschen, sagt Fraktionschef Thorsten Press. „Die aktuell geübte Praxis ,Wir lassen alle Sitzungen der Gremien ausfallen’ kann und darf nicht auf Dauer die Lösung sein“, findet er jedoch. „Die Mandatsträger und die Bürger müssen wieder mehr eingebunden werden.“
Die Stadtverordnetenversammlung bekommt stets die Chance, ihr nicht genehme Entscheidungen des Ausschusses wieder einzukassieren, denn jeder Entschlussvorschlag, zu dem ein Eilentscheid fiel, muss laut HGO auf die Tagesordnung der nächsten Parlamentssitzung gesetzt werden. Schwierig wird es für die Fraktionen, mögliche Missgriffe ihrer Ausschussmitglieder zu korrigieren, wenn mit dem Beschluss Ausgaben oder Vertragsabschlüsse verbunden, auf gesetzesdeutsch „durch ihre Ausführung bereits nicht mehr rückgängig zu machende Rechte Dritter entstanden sind“. Das gleiche Szenario gilt übrigens auch für Themen, über die die Ortsbeiräte abschließend entscheiden können.
Nicht für Flörsheim relevant ist ein zweiter Gesetzeseinschub in der HGO, die sämtliche Bürgermeisterwahlen in den Kommunen vor dem 1. November ausschließt. Hier verweist der Gesetzgeber im neu geschaffenen §150 auch auf die Möglichkeit, dass die Gemeindeparlamente beschließen, den Urnengang zusammen mit den Kommunalwahlen im März 2021 nachzuholen. Da die Regelung seit Anfang April gilt, eröffnet sich dadurch praktisch die Möglichkeit, Amtszeiten von Bürgermeistern um gleich mehrere Monate zu verlängern. Derzeit ist es für die politischen Parteien nicht gerade einfach, ihre Arbeit fortzuführen, am Ball zu bleiben. Die CDU-Fraktion hat eine wöchentliche Videokonferenz eingeführt, berichtet Reif. „Im wöchentlichen Wechsel mit einem politischen Treffen der CDU-Mitglieder werden so alle anstehenden Themen besprochen.“ Bei einer dieser Gelegenheiten wurde unter Beteiligung des Bundestagsabgeordneten Norbert Altenkamp diskutiert. Gesprächsthemen sind derzeit das Marienkrankenhaus,die Deponieerweiterung und konkrete Maßnahmen gegen COVID-19, aber auch Themen aus den Betriebskommissionen bis hin zu den Ortsbeiräten.
„Die Politik geht munter weiter, größere Streits bleiben dabei erfreulicherweise aus“, resümiert der CDU-Fraktionschef. „Die Stadt macht auf allen Ebenen großartige Arbeit. Zuvorderst die Bürgerinnen und Bürger, die Vereine und Einrichtungen, die einkaufen gehen, Masken nähen, für Leben sorgen.“ Auch die FDP hat sich elektronisch verbandelt. „Der interne Austausch, sei es durch Videokonferenzen oder verstärkten Online-Austausch per Mail funktioniert hervorragend“, sagt Fraktionschef Thorsten Press. „Die Arbeit auf diesen Wegen war anfangs ungewohnt, bietet aber auch viele Vorteile.“
Videokonferenzen sind auch bei der politischen Konkurrenz zum Alltag geworden, die GALF hat sich einen virtuellen Konferenzraum geschaffen, der von den Mitgliedern jederzeit betreten werden kann, „so dass auch Kleingruppen jederzeit ,tagen’ können“, erläutert Fraktionschef Frank Laurent. Die SPD nutzt neben den Videokonferenzen auch WhatsApp zur internen Kommunikation. Die Sozialdemokraten wollen sich allerdings demnächst wieder aus der Deckung wagen. Nächste Woche wird wieder eine Sitzung ,analog’ stattfinden, in einem großen Raum mit entsprechendem Sicherheitsabstand“, betont Eisenmann-Kohl.
Der Messaging-Dienst der Wahl ist bei der GALF „Telegram“, im Gruppenchat werden alle möglichen Themen diskutiert, erläutert der Fraktionsvorsitzende, und auch Telefonkonferenzen habe es schon gegeben. „All das kann persönliche Treffen nicht in Gänze ersetzen“, resümiert Laurent dennoch. „Eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung per Videokonferenz stelle ich mir sehr schwierig vor. Die Öffentlichkeit ließe sich zwar herstellen, aber für eine fruchtbare Diskussion mit Abstimmungen ist die gemeinsame Präsenz wichtig.“
Die CDU bringt die Idee der virtuellen Bürgergespräche ins Spiel, „da durch die Kontaktsperre ja auch der Austausch mit den kommunalpolitischen Vertretern reduziert ist.“ Langfristig, sagt Laurent zu solchen Überlegungen, will er aber zu leibhaftigen Begegnungen zurückkehren und hält dies auch bei fortgesetzter Corona-Vorsicht für praktikabel. „Ich denke, dass die Stadthalle genug Raum bietet, dass das Gremium unter Beachtung der Sicherheitsanforderungen tagen kann. Wenn sich alle an diese Anforderungen halten, sinkt das Ansteckungsrisiko gegen Null“, sagt der GALF-Fraktionschef. „Wir lernen mehr und mehr mit dem Virus zu leben.
Eisenmann-Kohl findet „Gremienarbeit ohne Zusammenkünfte sehr schwierig“, auch wenn Videokonferenzen technisch möglich seien. Mit Umlaufbeschlüssen zu dringenden, aber nicht so wichtigen Punkten kann sie sich zwar arrangieren. Aber Öffentlichkeit sei in der politischen Arbeit wichtig. „Zuschauer und auch die Presse sind absolut notwendig, um nicht nur die Entscheidungsergebnisse zu übermitteln, sondern auch die Diskussionen und die ausgetauschten Argumente“, hält die SPDFraktionschefin fest. Von der Fraktion „Die freien Bürger“ lag bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor.
Quelle: Flörsheimer Zeitung vom 30. April 2020