Landratskandidaten unterwegs im Kreis
VON ULRICH MÜLLER-BRAUN Straßenwahlkampf im April 2017. Die drei Landratskandidaten treffen in Hofheim und Weilbach auf ihre Wähler. Die nehmen zwar gerne Rosen, Windrädchen und Bleistifte entgegen – aber politische Gespräche wollen nicht so recht in Gang kommen.
Hofheim/Weilbach. Samstag, kurz nach 9 Uhr: Auf dem Hofheimer Wochenmarkt ist schon ordentlich was los. Kein Wunder: Den strahlendem Sonnenschein und die frühlingshaften Temperaturen gibt es gratis. Ein Schwätzchen mit guten Bekannten auch. Und an diesem 1. April sogar Informationen aus erster Hand. Wenn man will. Schließlich hat im Rennen um die Landratswahl am 23. April der Straßenwahlkampf begonnen, und an diesem Morgen haben zwei der drei Kandidaten in Hofheim am Untertor ihre Schirme aufgebaut. Dabei fällt auf: Einen Sicherheitsabstand brauchen SPD-Kandidat Georg Einhaus und Fritz-Walter Hornung, den die Kreis-Linke kurz vor Toresschluss nominiert hat, nicht. Man kennt und schätzt sich. Und wenn, dann gilt es, Amtsinhaber Michael Cyriax Stimmen abzunehmen. Der Christdemokrat allerdings ist an diesem Samstag noch nicht auf den Straße unterwegs. Das kommt noch.
Bis dato wurde das Scharmützel um den Chefsessel im Kreishaus äußerst freundlich geführt. Als Favorit gilt Cyriax, der 2011 mit 61,2 Prozent der Stimmen seine damaligen Gegenkandidaten Oliver Conz (SPD) und Fritz-Walter Hornung (Linke) deutlich in die Schranken gewiesen hatte. Wobei Linken-Politiker Hornung mit 7,9 Prozent vor sechs Jahren ein durchaus beachtliches Ergebnis einfahren konnte. Wiederholbar? „Wohl eher nicht“, schätzt der 59-Jährige, der schon von Berufs wegen kein Träumer ist. Der Diplom-Volkswirt hatte mehrere leitende Funktionen in verschiedenen Unternehmen inne, war von 1992 bis 2005 Partner bei den Wirtschaftsprüfern von Price-Waterhouse-Coopers. Will heißen: Der Mann kann rechnen. Ganz abgesehen davon, dass er SPD-Kandidat Einhaus ja eigentlich gar keine Stimmen wegnehmen wollte, falls die AfD einen Landratskandidaten ins Rennen geschickt hätte. Nun gut: Hat sie nicht und so stehen die beiden roten Schirme eben nicht einmal drei Meter voneinander entfernt, und die Kandidaten – Fritz-Walter Hornung mit Helferin Barbara Grassel, die 2015 von der SPD ins Linke-Lager gewechselt war und Georg Einhaus mit einem halben Dutzend Mitstreiter – und verteilen Geschenke. 2000 bis 3000 Rosen (natürlich in rot), 3000 Osterhasen und 2000 Ostereier auf SPD-Seite bei insgesamt geplanten 25 Veranstaltungen im Kreis, unzählige Packungen Papiertaschentücher, Buntstifte und Windrädchen bei den zehn Veranstaltungen, die Hornung bis zum 23. April noch vor sich hat.
Wobei der Bürgerkontakt zumeist im netten Plauderton von statten geht. Eine Rose: ja. Ein Windrädchen auch. Politische Debatten hingegen wollen nicht so recht in Gang kommen. Zumindest keine kontroversen. Als SPD-Mann Einhaus im Gespräch mit zwei Bürgerinnen unterstreicht, „wir brauchen im Kreis 16 000 Wohnungen“, erhält er von Adelheid Reichert und Hildegard Bonnaire Unterstützung: „Endlich mal jemand, der das deutlich sagt!“ Warum sich die beiden die Zeit für ein kurzes Gespräch genommen haben? „Man kann doch niemanden wählen, von dem man nichts weiß. Deshalb ist es gut, dass man die Kandidaten auf der Straße treffen kann.“
Auch drei Meter weiter links wird’s jetzt ein wenig politischer. Dafür sorgt mit Helmut Bernstein allerdings ein Wildsächser Parteifreund Hornungs. Überzeugungsarbeit muss hier nicht geleistet werden.
Apropos Überzeugungsarbeit: Wer mit keinen oder eher geringen Aussichten in das Abenteuer Wahlkampf geht, muss vor allem eins: den Rücken freihaben. Auch wenn keiner der Kandidaten Geld in die Hand nehmen muss, weil die Kosten aus den Parteikassen bestritten werden, bleibt für vier bis sechs Wochen wenig Zeit für anderes. „Meine Frau hat mit etwas knirschenden Zähnen zugestimmt. Und ansonsten bin ich ja nur noch politisch berufstätig. Da geht das“, erläutert Fritz-Walter Hornung.
„Genau genommen sind es drei Spannungsfelder, die passen müssen. Die Rückendeckung vom Arbeitgeber muss da sein, die Partei muss zu 100 Prozent hinter dir stehen und – vor allem – die Familie muss das mittragen“, weiß Georg Einhaus: „Es klingt charmant, wenn man sagt, die Tochter habe nur darauf bestanden, dass gegenüber ihrer Schule kein Wahlplakat hängt, aber ganz nebenbei muss die Familie auch mit anonymen Anrufen und Beschimpfungen zurecht kommen“, ergänzt er nachdenklich.
Sein Wahlziel? „Die Stichwahl“, kommt es überzeugt. Setzt er dabei auf den Schulz-Effekt? „Sagen wir es so: Martin Schulz hilft sicher, wieder Wählerschichten zu erreichen, die lange Zeit weg waren. Und ich hoffe sehr, wir werden das an der Wahlbeteiligung sehen. Schön wären 45 plus x!“
Mit dieser Hoffnung allerdings bleibt der Sozialdemokrat an diesem Samstagvormittag allein: „Kreispolitik zu vermitteln, ist schwer. Ich schätze 30 bis 40 Prozent“, rechnet Hornung.
Szenenwechsel: Eine Woche später befindet sich auch Michael Cyriax im Straßenwahlkampf. Pünktlich um 8 Uhr steigt er in Weilbach vor der Metzgerei Press in der Frankfurter Straße aus dem Auto. Das gute Wetter der Vorwoche ist durch tristes Grau und einstellige Temperaturen ersetzt. Zwiebellook unter der edlen Lakers-Jacke ist angesagt. Trotzdem hat sich ein knappes Dutzend „Wahlkämpfer“ im CDU-Outfit am Schirm versammelt. Hände schütteln, Schulter klopfen. Ein anstrengender Tag liegt vor dem 47-Jährigen, der als amtierender Landrat später noch in Wicker, Liederbach und Hofheim sorgsam mit dem Spagat zwischen Mandatsträger und Wahlkämpfer umgehen muss. „Der Wecker hat um 6.15 Uhr geklingelt. Frühstück, ein bisschen Zeit mit Tochter Sarah und eine halbe Runde um Marxheim herum habe ich schon hinter mir. Jetzt bin ich fit“, strahlt der Favorit der Landratswahl. „Ja, aber man muss demütig sein“, schlägt Cyriax lieber leise Töne an. Für die selbstbewussteren hat er genügend „Überzeugungstäter“ im Team. Etwa Marcus Reif. „Es wird so kommen“, beantwortet der CDU-Fraktionsvorsitzende im Flörsheimer Stadtparlament die Frage nach einer Entscheidung gleich im ersten Wahlgang. Ausgeruht wird trotzdem nicht. 2300 Plakate hängen. 25 bis 30 Wahlkampfstände werden in allen Städten und Gemeinden des Kreises in den Tagen bis zur Wahl aufgebaut. Daneben setzt das Team um CDU-Kreisgeschäftsführerin Heike Seibert auf eine mit der Jungen Union ins Leben gerufene Social-Media-Kampagne und auf eine zwölfseitige Broschüre über Michael Cyriax. „Dem demografischen Wandel entsprechend mit vernünftig großen Buchstaben“, lacht Seibert. Ansonsten liegen auf dem Tisch kleine Blöcke und „die immer wieder sehr beliebten“ Bleistifte. Wie die Familie – Tochter Sarah erlebt einen persönlichen Wahlkampf ihres Vaters zum ersten Mal – damit umgeht? „Sie hat Spaß daran, die Plakate zu zählen“, berichtet der stolze Vater. Im Gegensatz zum SPD-Mitbewerber, dessen Ehefrau klar herausstellte, dass sie keine Michelle Obama sei, tritt der MTK-Landrat mit Familie auf. Ehefrau Sandra und Tochter Sarah unterstreichen auf Seite 6 der Broschüre die menschliche Seite des Kandidaten.
Viele Gespräche gibt es an diesem Morgen nicht zu führen. Für mehr als einen schnellen Händedruck reicht es bei den meisten, die in die Metzgerei huschen, um rasch die Frühstückswurst einzukaufen, nicht. Weil es schwer ist, die Menschen mit Kreispolitik zu erreichen? „Das hat etwas mit Betroffenheit zu tun. Die Themen müssen die Menschen berühren, dann interessieren Sie sich auch“, sagt Marcus Reif und „der Landrat für alle“ lächelt anerkennend: „Hätte ich nicht besser sagen können!“, soll das wohl heißen. Dann schnappt er sich zwei Mitstreiter und geht erst mal Frühstück für alle einkaufen. Fleischwurst mit Brötchen.